Filmkritik

„Alle die du bist“: Aenne Schwarz ist ein Ereignis

In Michael Fetter Nathanskys Drama „Alle die du bist“ muss Aenne Schwarz als starke Frau bestehen – neben ihrem impulsiven Mann, der je nach Situation von anderen Schauspielern dargestellt wird. Schwarz’ Spiel ist ein Ereignis, schreibt Bert Rebhandl in seiner Kritik dieses ungewöhnlichen deutschen Films.

Aenne Schwarz in „Alle die du bist“ – Foto: Contando Films/Studio Zentral/Network Movie

„Alle die du bist“: Immer wieder Krise

Nadine und Paul sind ein Paar. Beide arbeiten als Mechatroniker in einem riesigen Konzern in NRW, immer wieder sind ihre Stellen von Kürzungen bedroht, rundherum vollzieht sich eine große Transformation. Was einmal Arbeit war, und Arbeiterklasse, das ist hier noch präsent, aber auch gefährdet. Auf Nadine kann man zählen, aber mit Paul ist immer wieder Krise. Er hat manchmal Panikattacken, dann schließt er sich irgendwo ein. Und weil er um seine Probleme weiß, versucht er sie manchmal schon vorher zu bewältigen, zu überspielen, mit verrückten Aktionen irgendwie gegenzusteuern.

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Paul wird von vielen gespielt, je nach Situation

Paul ist impulsiv, Nadine ist eher rational. Die Beziehung hat so ihre Einseitigkeiten. Die größte Einseitigkeit aber fügt Michael Fetter Nathansky in seinem Film „Alle die du bist“ durch einen dramaturgischen Clou hinzu: Paul ist nämlich viele. Er wird, je nach Situation, von unterschiedlichen Schauspielern gespielt, in der Hauptrolle von Carlo Ljubek, es gibt aber auch jüngere Pauls, und manchmal ist er sogar ein Tier, ein mächtiger Bulle mit Hörnern, den nur Nadine beruhigen kann.

Damit trägt „Alle die du bist“ der Tatsache Rechnung, dass wir alle immer auch noch zugleich das Kind sind, das wir einmal waren, der Jugendliche, der erste große Erfahrungen machte und vielleicht auch Enttäuschungen einstecken musste. Wir sind vielschichtige Wesen. Das hat man so in dieser Deutlichkeit selten gesehen.

Nadine ist zur Stabilität verdammt

Allerdings zahlt Fetter Nathansky für seine Konzeption auch einen Preis. Denn Nadine, aus deren Perspektive der Film erzählt ist, ist damit zur Stabilität verdammt. Nadine muss immer Nadine bleiben, damit Paul auch mal das Kind in sich ausleben kann. Nadine wird von Aenne Schwarz gespielt, einer Virtuosin ihrer Kunst. Sie macht das, was Fetter Nathansky bei Paul auf verschiedene Akteure verteilt, alles nur mit ihrem Gesicht, mit winzigen Regungen ihrer Mimik, mit den Registern der hohen Schauspielkunst.

Auf dieser Ebene ist „Alle die du bist“ ein Ereignis. Stark sind auch die Momente, in denen wir eine sterbende Kultur zu sehen bekommen, die Dynamik von Belegschaften, die Andeutungen und Zumutungen von Solidarität und Kollegialität in einer Welt, die schon darüber hinweggeht. Am Ende verheddert sich Fetter Nathansky ein bisschen, aber sehenswert ist „Alle die du bist“ allemal: ein ungewöhnlicher Film aus Deutschland, mit Figuren, die man lange nicht vergessen wird.

  • Alle die du bist 104 Min.; R: Michael Fetter Nathansky; D: Aenne Schwarz, Carlo Ljubek, Sara Fazilat; Kinostart: 30.5.

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