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„Ivo“ von Eva Trobisch: Sterben und leben lassen

Ein schwieriges Thema gekonnt beleuchtet: Eva Trobisch erzählt in „Ivo“ von einer Palliativpflegerin zwischen Lebenslust und Ausbrennen. tipBerlin-Kritikerin Pamela Jahn hat die spannende Filmemacherin aus Berlin getroffen, die zu den Hoffnungsträgerinnen des deutschen Autorenkinos zählt.

Die Palliativpflegerin Ivo (Minna Wündrich) kümmert sich auch um ihre schwerkranke beste Freundin Solveigh (Pia Hierzegger). Foto: Adrian Campean

„Ivo“ ist aus der Faszination für verschiedene Sichtweisen heraus entstanden

Manchmal sind die Filme am schönsten, die einem zufallen. Ohne Druck. Ohne Zwang. „Ivo“ von Eva Trobisch, sieht man diese Freiheit an. „Hereingepurzelt“ sei die Regisseurin in die Welt, in der ihr zweiter Langfilm spielt. „Ich hatte zunächst den Auftrag, einen ,Polizeiruf‘ zu schreiben und habe in dem Zusammenhang nach geeigneten Verbrechen gesucht. Fasziniert hat mich dabei alles, was nicht eindeutig war, wo es Ambivalenzen und verschiedene Sichtweisen gab, die ein klares Urteil schwierig machen.“

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Tatsächlich ist Trobisch kein Krimi-Fan. Aber ein Fall hatte es ihr angetan: Zwischen 2005 und 2006 tötete die Krankenschwester Irene Becker auf der Intensivstation der Berliner Charité mehrere Patienten. Ein Jahr später wurde sie wegen fünffachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. „Sie wollte Gutes tun“, sagt Trobisch, „indem sie sterbenskranken Menschen Überdosen verabreicht hat. In ihrer Wahrnehmung hat sie sie erlöst. Die Angehörigen sahen das zum Teil sehr anders. Vor dem Gesetz wurde sie als Serienmörderin verurteilt.“

Als ambulante Palliativpflegerin macht Ivo vor allem Hausbesuche. Foto: Adrian Campean

Die Geschichte vom „Todesengel aus der Charité“  verblasst im Hintergrund vor dem, was Ivo (Minna Wündrich) jeden Tag als ambulante Palliativpflegerin erlebt. Die Titelheldin in Trobischs Film fährt kreuz und quer durch die Region, um Hausbesuche zu machen, Patienten zu versorgen oder manchmal einfach nur da zu sein. Vor allem für ihre Freundin Solveigh (Pia Hierzegger), die an der unheilbaren Nervenkrankheit ALS leidet, nimmt sie sich viel Zeit. Denn Solveigh möchte sterben, sie hält den langsamen Verfall, das ewige Vor-sich-hin-siechen nur schwer aus. Dass Ivo eine intime Beziehung mit ihrem Ehemann Franz (Lukas Turtur) hat, mag sie ahnen, zur Sprache kommt es nicht.

Starke Frauen sind die Protagonistinnen in Eva Trobischs Filmen

Das ist nicht ungewöhnlich. In Trobischs Filmen wird selten zu viel geredet. Ihre Protagonistinnen sind Pragmatikerinnen, junge Frauen, die mit beiden Beinen im Alltag stehen. Auch Janne, die Hauptfigur in dem Regiedebüt „Alles ist gut“ stellt sich der Vergewaltigung, die sie erlebt, auf eine seltsam souveräne, widerständige Art und Weise, die irritiert und gleichzeitig tief bewegt.

In ihren Filmen sucht Eva Trobisch gerne das Profane. Foto: Trima Film

Wie sich das Kantige, Sachliche ihrer Figuren vom Drehbuch auf die Leinwand überträgt und daraus ein Drama voller Zärtlichkeit und Authentizität entsteht, darin liegt das Geheimnis in Trobischs Filmen. Und ihre enorme Kraft.

Das macht es der 1983 in Berlin geborenen Regisseurin bei der Finanzierung jedoch nicht unbedingt leicht: „Für mein jetziges Projekt wurde mir eine Förderung mit der Begründung abgesagt, dass meine Figuren zu spröde seien“, erzählt sie und man merkt ihr die Freude über diese Einschätzung an. „Ich habe das damals als ein Kompliment empfunden. Wahrscheinlich hat diese Gefasstheit auch etwas mit mir selbst zu tun. Sonst würden die beiden Filme vielleicht einen anderen Ton haben. Ich suche gern das Profane im Drama, das Normale, die Bürokratie, das Irdische, Schlichte und Antidramatische. Und dennoch habe ich Freude an starken Setzungen.“

Trobischs Filme durchzieht ein Anspruch auf Selbstbestimmung

Trobisch oszilliert in ihrer Arbeit zwischen Kino, Fernsehen und Theater. Vor drei Jahren wurde ihre erste Bühnenarbeit in Basel aufgeführt. Studiert hat die Regisseurin an der HFF in München, wo sie erste Kurzfilme drehte. Um ihre Drehbucharbeit zu vertiefen, ging sie erst mit einem Stipendium nach New York und absolvierte anschließend noch einen Master in Screenwriting an der London Film School.

Das feine Gespür, das sie beim Schreiben für ihre Figuren entwickelt, lässt sich jedoch nicht erlernen. Das steckte schon immer in ihr drin, von Anfang an. Worauf es ihr bei Janne ankam, sagt Trobisch, „war das Gefühl, nicht Opfer sein zu wollen“. Dann überlegt sie kurz und ergänzt: „Das ist ein Anspruch auf Selbstbestimmung, den ich von mir selber kenne und der möglicherweise auf die Figur abfärbte.“

Mit dem Mann ihrer todkranken besten Freundin hat Ivo ein Verhältnis. Foto: Adrian Campean

Aber auch bei Ivo merkt man, wie viel Respekt und Empathie Trobisch ihrer Protagonistin, in der Auseinandersetzung mit sich selbst und ihrem Umfeld stets entgegenbringt. Die engagierte Pflegerin, hervorragend gespielt von Minna Wündrich, lebt für ihren Beruf, hat ständig das Telefon parat. Der alte Skoda, mit dem sie durch die Gegend fährt, ist für sie Verkehrsmittel, Büro und Kantine zugleich. Wenn man wie Ivo, ständig Auge in Auge mit dem Tod arbeitet, bleibt wenig Zeit für die Teenager-Tochter zu Hause oder ein stabiles Sozialleben mit Momenten der Ausgelassenheit.

„Ivo“ ist ein Film, der Widersprüchen Raum lässt

Trotzdem ist „Ivo“ kein Film, der wie ein Klotz am Bein hängt. Trobisch findet in ihrer virtuosen Inszenierung ruhige, psychologisch aufgeräumte Bilder für die inneren und äußeren Konflikte ihrer Protagonistin und deren Patienten, ohne mit ihrer Kunstfertigkeit zu protzen. Diese Arbeitsweise kommt dem Film zugute, weil sie Raum lässt, um den Widersprüchen Geltung zu verschaffen, die bei einem so komplexen Thema wie Sterben und Sterben lassen unweigerlich präsent sind.

Auf welcher Seite Trobisch selbst steht, ist eine Frage, die für die Regisseurin weiter offen bleibt: „Ich habe den Film nicht zuletzt auch gemacht, weil ich das wirklich nicht klar sagen kann. Mir ging es in all den Gesprächen, die wir im Vorfeld darüber geführt haben, immer so, dass ich die Argumente sowohl dafür als auch dagegen verstanden habe. Und ich bin froh, dass ich Regisseurin bin und keine Politikerin, weil ich nicht wüsste, wie man einen Gesetzesentwurf schreiben kann, der alle Komponenten berücksichtigt. In der Hinsicht würde ich mich immer enthalten und sagen, das ist sehr individuell. Und zwar so individuell, dass es kein Gesetz gibt, das für alle gelten kann.“

  • Ivo Deutschland 2024; 104 Min.; R: Eva Trobisch; D: Minna Wündrich, Pia Hierzegger, Lukas Turtur; Kinostart: 20.6.

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