Interview

Galeristin Anahita Sadighi: „Berghain und Philharmonie in einem Raum“

Anahita Sadighi ist eine der spannendsten Galerist:innen der Stadt, weil sie antike und zeitgenössische Kunst, Persien und Charlottenburg, Malerei, Musik, Salonkultur und politisches Engagement scheinbar mühelos verbindet. Wir haben sie interviewt.

Anahita Sadighi gehört zu den spannendsten Galerist:innen der Stadt. Foto: Clemens Poloczek

Galeristin Anahita Sadighi im Interview: Immer Charlottenburg

tipBerlin Anahita Sadighi, alle Ihre Galerien waren und sind in Charlottenburg, auch die im November 2023 neu eröffnete. Ist das nicht ein bisschen oldschool für eine 35-Jährige?

Anahita Sadighi Charlottenburg erlebt seit einigen Jahren ein Revival, und das ist noch lange nicht vorbei, was mich sehr freut. Charlottenburg war schon immer ein wichtiges Galerienviertel mit all den Antiquariaten, alten Kinos und familienbetriebenen Geschäften, die vor allem den Kiez um den Savignyplatz prägen. Dann haben wir die Schaubühne, die Deutsche Oper und die Universität der Künste. Es gibt hier einfach ein tolles Fundament, mit dem man als Kulturschaffende wunderbar arbeiten kann. Viele Berlin Besucher:innen erleben Charlottenburg positiv, während die Berliner:innen den Bezirk für sich neu entdecken. Das ist das Schöne – dieser Bezirk erfindet sich neu. Als Charlottenburgerin versuche ich, meinen Teil dazu beizutragen.

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tipBerlin Sie zeigen aktuell bereits zum vierten Mal eine Einzelausstellung von Wenxin Zheng.

Anahita Sadighi Mit Wenxin Zheng arbeite ich schon seit Beginn meiner Galeristenkarriere zusammen. Sie lebt in Hangzhou, mich fasziniert ihr Einblick in aktuelle chinesische Lebenswelten. Sie hat früh angefangen, ihre Eindrücke von ihrem WeChat, das ist die chinesische Instant Messaging-, Social Media- und Bezahl-App, malerisch zu verarbeiten. Dadurch entstehen sehr vielschichtige, abstrakt-figurative Bilder mit einer einzigartigen Farbpalette, die eine poetische und visuelle Sprache besitzen. In Wenxin Zhengs neuen Werken verbinden sich Ost und West, Tradition und Aktualität. Jahrtausende alte Vorstellungen über die Verbundenheit von Mensch und Universum rücken in den Vordergrund und werden neu kontextualisiert. Angesichts des aktuellen Weltgeschehens erhalten ihre Bilder eine Dringlichkeit, die weit über das Persönliche hinausgeht.

tipBerlin Sie haben zusätzlich zu Ihrer letzten Ausstellungseröffnung noch eine multidisziplinäre Party veranstaltet. Warum?

Anahita Sadighi Ich möchte meine Leidenschaft für Musik und meine Rolle als Galeristin stärker miteinander verbinden. Ich habe den Eindruck, dass die Kunst-Bubble und die Musik-Bubble sich zu selten begegnen. Ich möchte diese beiden Bereiche in einen Dialog bringen, deswegen veranstalte ich eine multidisziplinäre Partyreihe mit elektronischer Musik, Live-Performances, Installationen, in die das Publikum aktiv mit einbezogen wird. Darin sehe ich das Potenzial, neue Räume und kreativen Austausch entstehen zu lassen. Es soll ein besonderer Ort der Begegnung und Erfahrung werden. Außerdem werden viel zu wenig Partys von Frauen veranstaltet. Das möchte ich ändern. Im Juli findet die nächste Veranstaltung statt. Mein Wunsch ist es, so ein Loft dauerhaft anzumieten, dort zu wohnen und zu solchen Veranstaltungen einzuladen.

Ich glaube, dass wir uns aktuell nach Begegnungen sehnen, die nicht oberflächlich sind, sondern auf einer Vision aufbauen und ein verbindendes Element wie die Kunst haben. 

Anahita Sadighi, Galeristin

tipBerlin Stehen Sie in der Tradition der Salonkultur?

Anahita Sadighi Ja, auch weil ich so aufgewachsen bin. Mein Vater hatte hier in Berlin über 35 Jahre eine Galerie für antike Kunst. Bei uns gab es oft Hauskonzerte, große Dinner, viele Künstler:innen, Schriftsteller:innen und Filmemacher:innen kamen zu Besuch. Wenn man zu sich nach Hause einlädt, hat so eine Begegnung einen ganz anderen Charakter als in einer offiziellen Location. Meine Vision ist es, einen neuen Raum zu schaffen. An diesem Ort sollen neue Perspektiven auf Kunst, Design, Literatur, Film, Musik, Tanz bis hin zu modernen Zeremonien und Identität entwickelt werden. Wichtig ist, dass die Community von Besucher:innen und auftretenden Künstler:innen auf einem Prinzip organischer Vielfalt beruht.

tipBerlin Haben Sie bestimmte Communitys oder Szenen im Sinn?

Anahita Sadighi Ich glaube, dass wir uns aktuell nach Begegnungen sehnen, die nicht oberflächlich sind, sondern auf einer Vision aufbauen und ein verbindendes Element wie die Kunst haben. Ohne sich entscheiden zu müssen: Gehe ich jetzt in die Philharmonie oder ins Berghain? Du kannst beides in einem Raum erleben. Die Community rund um die Galerie schafft das Fundament für einen zeitgemäßen Kulturaustausch.

tipBerlin Es gibt in Berlin jeden Abend unzählige Veranstaltungen.

Anahita Sadighi Es fehlt sicherlich nicht an Partys im Allgemeinen. Aber es fehlt eine multidisziplinäre Partyreihe, die aus weiblicher Perspektive neue kulturelle Perspektiven öffnet. Ich bin viel in Clubs unterwegs, die Clubszene ist nach wie vor sehr männlich geprägt.

Blick in die Ausstellung von Wenxin Zheng. Umgebaut hat die neue Galerie von Anahita Sadighi
das Architekturbüro Gonzalez Haase AAS. Foto: Roman März

Anahita Sadighi gehört zu den spannendsten Galerist:innen der Stadt

tipBerlin Sie haben 2015 mit einer Galerie für antike Kunst aus Asien angefangen, dann eine Galerie für zeitgenössische Kunst gegründet. Jetzt haben Sie beide fusioniert.

Anahita Sadighi In meiner Arbeit als Galeristin verbinde ich auf besondere Weise antike mit zeitgenössischen Positionen. Mein Ziel ist es dabei, einen Dialog zwischen verschiedenen Medien, Epochen und Kulturen herzustellen, um Verbindungen aufzuzeigen und ein zeitgemäßes Verständnis von Kunst- und Kulturgeschichte zu vermitteln. Dieser spezifische Ansatz prägt das Programm der neuen Galerie. Außerdem möchte ich unterrepräsentierte Themen sichtbarer machen, das Thema Frauen in der Kunst, vor allem in alten Kulturen wie in Persien und in Zentralafrika. Antike Nomadenteppiche wurden beispielsweise ausschließlich von Frauen produziert, weil sie diejenigen waren, die den Zugang zum Schöpferischen und zur spirituellen Welt besaßen. Diese Tradition ist Jahrtausende alt. Diese Kelims sind auf einem so hohen künstlerischen Niveau, dass man Parallelen zu den bedeutenden Werken der Moderne ziehen kann. Auch bei der Frauenrechtsbewegung im Iran ist dieses Erbe von selbstbestimmten, kreativen und mutigen Frauen spürbar.

tipBerlin Sie setzen sich aktiv für die Frauenrechtsbewegung im Iran ein.

Anahita Sadighi Ja, seit Beginn der Proteste im Iran engagiere ich mich für die Sichtbarkeit der Frauenrechtsbewegung „Woman Life Freedom“. Zu  Beginn der Proteste habe ich in den Kantgaragen auf einer Fläche von 1.300 Quadratmeter eine Installation mit alten Amphoren aus Persien gezeigt, mein erstes eigenes Kunstwerk. Die Amphoren symbolisierten die iranische Frauenrechtsbewegungen in ihrer Vielfalt, also die verschiedenen Ethnien, sozialen Klassen, Geschlechter und Generationen. Ich möchte mit alten Artefakten aktuelle Geschichten erzählen.

Die Galerieszene ist nach wie vor eine sehr weiße, männliche Welt. POC sind in den Führungspositionen bei Museen und kulturellen Institutionen stark unterrepräsentiert.  

Anahita Sadighi, Galeristin

tipBerlin Wissen wir hier zu wenig von Hochkulturen des antiken Asien und Nordafrikas?

Anahita Sadighi Kunst- und Kulturgeschichte ist nach wie vor sehr eurozentrisch geprägt. Unser Blick auf diese Kulturen ist oft von einem Gefühl der Überlegenheit gefärbt, was auch auf Unwissenheit zurückzuführen ist. Wer sich mit diesen Kulturen beschäftigt, wird schnell zu einer anderen Blickweise gelangen.

tipBerlin In welchen Bereichen gibt es zu wenig Dialog und Meinungsaustausch?

Anahita Sadighi Ich glaube, dass es für Perspektiven von Frauen und People of Colour in Deutschland keine angemessene Bühne und Sichtbarkeit gibt, auch im Kulturbereich. Die Galerieszene ist nach wie vor eine sehr weiße, männliche Welt. POC sind in den Führungspositionen bei Museen und kulturellen Institutionen stark unterrepräsentiert.  

  • Galerie Anahita Sadighi  Schlüterstr. 16, Charlottenburg, Mi–Fr 12–19, Sa 11–16 Uhr; Wenxin Zheng bis 20.6., weitere Infos hier

Zur Person

Anahita Sadighi hat 2015 ihre erste Galerie Anahita – Anahita Arts of Asia gegründet, 2017 kam mit Anahita Contemporary die zeitgenössische Kunst hinzu. Sadighi wurde in Teheran geboren und wuchs in Berlin auf. Während ihrer Schulzeit war sie Jungstudentin an der Hans-Eisler-Hochschule und wollte Pianistin werden. Es kam anderes, sie hat an der School of Oriental and African Studies (University of London) studiert. Ihre neue Galerie Anahita Sadighi hat sie im November in der Nachfolge ihrer früheren Räume eröffnet.


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