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Berlin Biennale: Mastermind Gaby Horn geht, Axel Wieder kommt

Nach fast einem Vierteljahrhundert im Dienst der Berlin Biennale gibt Direktorin Gabriele Horn den Staffelstab weiter: an Axel Wieder, einst Mitgründer der Berliner Buchhandlung Pro qm. Horn und Wieder sprachen im Videointerview mit tipBerlin-Redakteurin Claudia Wahjudi über das Erreichte und die Risiken der nahen Zukunft. Axel Wieder schaltet sich von seinem alten Arbeitsplatz dazu, dem Direktorenzimmer der Kunsthalle im norwegischen Bergen dazu, Gabriele Horn aus dem Büro der Berlin Biennale im Dachgeschoss der KW, der Kunst-Werke in der Berliner Auguststraße.

Die langjährige Direktorin der Berlin Biennale und ihr Nachfolger: Gabriele Horn und Axel Wieder zusammen im Hof der KW, Kunst-Werke e.V. Foto: Victoria Tomaschko

Gabriele Horn und ihr Nachfolger Axel Wieder im Gespräch

tipBerlin Frau Horn, wenn Sie jetzt gehen, ist Ihre Nachfolge geregelt, sind die Etats für die nächsten beiden Berlin Biennalen sicher und Zasha Colah, die Kuratorin der 13. Berlin Biennale, hat ihre Arbeit aufgenommen. Gibt es trotzdem etwas, das Ihnen Sorgen bereitet?

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Gabriele Horn Sorge kann die kulturpolitische Lage bereiten. Wie gehen wir mit den besonderen Herausforderungen eines derart großen Projektes um, dessen Realisierung zum Beispiel von Boykott begleitet sein kann? Und wie können wir unseren Ansatz von Experimentierfreudigkeit, Risiko und Diskursoffenheit bewahren?

tipBerlin Kurator:innen und Künstler:innen erhalten Aufmerksamkeit und oft Lob, die Direktion hält im Hintergrund den Apparat zusammen. Aber wenn Fehler passieren, muss die Direktion geradestehen und im Zweifelsfall zurücktreten, siehe documenta. Warum wollen Sie diese Aufgabe übernehmen, Herr Wieder?

Axel Wieder (lacht) Strategien und Rahmenbedingungen für solch eine große Ausstellung finde ich als Aufgabe sehr interessant. Ich komme ursprünglich aus dem freien, projektbezogenen Arbeitsfeld, später habe ich in Leitungsfunktion an Institutionen gearbeitet. Da ging es dann neben dem Inhalt auch um Vermittlungsfragen und Arbeitsstrukturen, um den Gestaltungsspielraum Institution. Das hat nicht nur mit Bürokratie zu tun, das verstehe ich auch als kreatives Arbeitsfeld.

tipBerlin Was bringen Sie da von Ihren vorigen Stationen mit?

Axel Wieder Vor Bergen habe ich unter anderem in England gearbeitet. An den Kunsthäusern dort waren Programme für Schulen und Jugendliche extrem wichtig. Das kann man durchaus kritisch sehen, etwa, wenn Kultureinrichtungen Aufgaben der Sozialpolitik übernehmen sollen, ohne den Freiraum der Kunst erhalten zu können. Aber es war auch toll zu sehen, wie nützlich die Häuser für die Gesellschaft sein können. Und die Kunsthalle hier in Bergen kennen alle in der Stadt. Jeder in Bergen kommt in seiner schulischen Laufbahn einmal bei uns vorbei und weiß ungefähr, was wir machen.

tipBerlin Sie haben vorhin mit dem Bildschirm zum Fenster geschwenkt, da war das blaue Meer zu sehen. Wie hat sich im Norden Ihre Sicht auf die Welt verändert?

Axel Wieder Die Arbeitsbedingungen für Kultur sind hier top, aber das ist auch nicht der Weg, der alles für uns löst. Manchmal vermisse ich eine Bereitschaft zu Konflikten und eine kontroverse Diskussionskultur, die ja auch produktiv für Kunst und Kultur sein kann.

Berlin Biennale: Permanentes Krisenmanagement

tipBerlin Frau Horn, die Kontroverse hat sich hier mit dem Krieg in der Ukraine, dem Attentat der Hamas und dem Krieg in Gaza hoch emotionalisiert. Wie lässt sich da eine internationale, politische Ausstellung, die viel Aufmerksamkeit erfährt, organisieren?

Gabriele Horn Wir stecken in einem permanenten Krisenmanagement. Trotzdem müssen wir mit einer gehörigen Portion Sensibilität versuchen, Räume für Dialoge offen zu halten. Und im Rahmen unserer Möglichkeiten dazu beitragen, dass wir wieder in der Lage sind, Konflikte miteinander zu verhandeln. Da muss man mit den Beteiligten im Vorfeld den Dialog suchen.

Axel Wieder Gespräche führen, öffentlich veranstalten – in aller Vorsicht und mit Rücksicht auf Sensibilitäten. Aber die Konflikte muss man ernst nehmen. Man kann sie nicht unsichtbar machen.

Sollten eingeladene Künstler:innen Deutschland gegenwärtig nicht besuchen, führen wir individuelle Gespräche, statt einen Boykott nur zu akzeptieren. Es ist uns ein Anliegen, die Tür und den Dialog weiterhin offen zu halten.

Gabriele Horn, Direktorin der Berlin Biennale

tipBerlin Wie darf man sich das konkret vorstellen? Frau Horn, gehen Sie mit, wenn Zasha Colah Künstler:innen aus Indien oder Nigeria nach Berlin einlädt, und erklären Sie den politischen Rahmen?

Gabriele Horn Sollten eingeladene Künstler:innen Deutschland gegenwärtig nicht besuchen, führen wir individuelle Gespräche, statt einen Boykott nur zu akzeptieren. Es ist uns ein Anliegen, die Tür und den Dialog weiterhin offen zu halten.

Die Berlin Biennale ist die größte Ausstellung für Gegenwartskunst in Berlin und im globalen Maßstab eine der größten und wichtigsten Plattformen für Künstler:innen.

Axel Wieder, zukünftiger Direktor der Berlin Biennale

tipBerlin Was ist heute Aufgabe einer Biennale in einer an Weltkunst inzwischen reichen Stadt? Räume für politische Diskussion halten auch andere Einrichtungen offen, das Jüdische Museum etwa oder die Akademie der Künste.

Axel Wieder Die Berlin Biennale ist die größte Ausstellung für Gegenwartskunst in Berlin und im globalen Maßstab eine der größten und wichtigsten Plattformen für Künstler:innen. Interessant wird, wie die Biennale sich der Stadtgesellschaft künftig weiter öffnen kann. Da sind Kooperationspartner:innen beispielsweise ganz wichtig.

Gabriele Horn Es hat sich im Lauf der Jahre gezeigt, dass die Berlin Biennale mit ihren Fragen immer aktuell war und sich in die Stadt eingeschrieben hat, etwa die 8. Berlin Biennale, die in die Dahlemer Museen gegangen ist, während sich das Humboldt Forum realisierte. Jede Berlin Biennale hatte solche Anknüpfungspunkte. Und jede hat einen neuen geografischen Blickwinkel mitgebracht. Das wird sicherlich auch in Zukunft so sein.

tipBerlin Die Berlin Biennale soll sich digitalisieren, so lautet einer ihrer Aufträge. Was heißt denn das?

Axel Wieder Es gibt pragmatische Ziele, die Arbeitswege und Kommunikation erleichtern, aber ich sehe auch inhaltliche Möglichkeiten. Jede Biennale ist ein Archiv von Recherche und künstlerischen Methoden. Darauf ließe sich jenseits des eigentlichen Veranstaltungszeitraums zugreifen.

tipBerlin Der ökologische Fußabdruck von Biennalen ist verheerend, beim Materialverbrauch, bei An- und Abreise von Teilnehmenden und Besuchenden. Auch die Ökobilanz zu verbessern, zählt zu den Aufgaben der Direktion. Was ist da in Planung?

Gabriele Horn Beim Material sind wir schon so weit, dass wir nach der Biennale viel recyclen und Künstler:innen in der Stadt anbieten. Und ich bin sehr glücklich darüber, dass der Kunst-Werke Berlin e. V. mit seinen beiden Geschäftsbereichen, einer davon die Berlin Biennale, Teil der Initiative „Start in die Nachhaltigkeit“ der Kulturstaatsministerin war. Hier ging es unter anderem um CO2-Bilanzierungen. Ich plädiere dafür, dass Künstler:innen, die für die Berlin Biennale produzieren, nicht zu Ortsbesichtigungen und Werkaufbau hin- und herfliegen, sondern dass man einer gewissen Zahl von ihnen Aufenthalte in Berlin anbietet. Dafür muss man die Möglichkeit schaffen, und das ist auch eine Frage der Finanzen.

Axel Wieder Natürlich ist eine Biennale eine glamouröse Veranstaltung, zu der alle hinfahren wollen, und das macht ja auch Spaß. Aber man kann daran arbeiten, dass die Biennale dauerhafter in der Stadt präsent ist. Formate umgestalten. Längerfristig planen. Nicht mehr für einen Vortrag aus den USA einfliegen lassen. Mehr Aufenthalte vor Ort sind auch für die Beteiligten interessant, weil sie weniger Stress bedeuten und sozial nachhaltiger sind.

tipBerlin Frau Horn, Sie haben früher einmal selbst kuratiert. Werden Sie diese Tätigkeit im Ruhestand wieder aufnehmen? Es ist schwer vorstellbar, dass Sie sich allein Ihrem Garten widmen.

Gabriele Horn Ich bin in einigen Beratungsgremien tätig, und das werde ich mit Freude aufrecht halten. Aber ich muss erst einmal kennenlernen, wie es ist, wenn man morgens nicht mehr zur Arbeit geht oder abends noch die E-Mails checkt. Dann werden wir sehen. In jedem Fall tut Erdung immer gut!

tipBerlin Herr Wieder, Sie stehen noch im Impressum der Berliner Buchhandlung Pro qm, die Sie mitgegründet haben. Gibt es Interessenskonflikte? Werden Sie die Tätigkeit für Pro qm ruhen lassen?

Axel Wieder Die Beteiligung ist nicht sehr aktiv. Da wird es keine Konflikte geben, auch im eigenen Interesse werde ich die Bereiche strikt trennen.

tipBerlin  Und wann werden Berliner:innen Sie erstmals in Ihrer neuen Funktion vor Ort öffentlich hören und sehen können?

Axel Wieder Ich fange im Sommer an, aber es gibt noch keinen öffentlichen Termin.

Gabriele Horn Noch nicht!


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