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Kunsthalle Neukölln: Warum Kreativwerkstätten so wichtig sind

Nah an der hektischen Hermannstraße wird in einem gelben Klinkergebäude Kunst gemacht. Räume wie dieser stehen in Berlin unter großen Druck, die Kunsthalle Neukölln feiert im August aber erst einmal das einjährige Bestehen. Wir haben die 15 Künstler:innen in ihren Ateliers besucht und den inspirierenden Ort fotografisch festgehalten.

Blick in die Kunsthalle Neukölln: Das hinterste Atelier im Gang teilen sich insgesamt vier Künstler:innen. Gloria Jurado (rechts) und Mauro Fariñas sind zwei von ihnen. Foto: Privat/Freddy Schönfeld

Kunst-Community in der Kunsthalle Neukölln

Stille und Trubel, das sind zwei Extreme, zwischen denen sich das Leben in Berlin abspielt. Und das trifft auch auf die die eingeschossige Kunsthalle Neukölln zu: In einem Hinterhof gelegen, zwischen Pizzaofen und Gemüsegarten, ist sie einerseits Produktionsstandort und Kreativwerkstatt von Kunstschaffenden und gleichzeitig ein idyllisch grüner Fleck. Palmen, die sich an der Ziegelfassade rekeln, und schwarze Fake-Kakteen im Garten tragen maßgeblich zu dieser charmanten Stadtoase bei.

Auch im Vorgarten wird gewerkelt. Foto: Privat/Freddy Schönfeld

Bis Anfang 2023 war hier noch eine Sonnenschutz-System Firma ansässig, kurz darauf folgte dann der Zusammenschluss von 15 kreativen Köpfen, die sich hier künstlerisch entfalten.

Neben Kunst wird auch hin und wieder Pizza produziert. Foto: Privat/Freddy Schönfeld

Mariona Berenguer und Stefan Knauf sind diejenigen, die das Projekt hochgezogen und dem Standort ein neues Outfit verpasst haben. Einen Mietvertrag für die kommenden 20 Jahre, ein Zeitraum, in den investiert werden darf und sollte.

Mariona erzählt: „Wir haben damals in der 300 Quadratmeter leerstehenden Halle über die komplette Länge einen Flur eingezogen und dann jeweils im Fenster-Rhythmus fünf Atelier-Parzellen entstehen lassen, die alle zusätzlich noch eine Hochebene haben, um mehr Raum zu garantieren. Sodass sich letztendlich zwei bis vier Personen ein Atelierraum teilen können. Die großen, konstruktiven Arbeiten, wie beispielsweise die sechs Meter hohen Wände haben wir gemeinsam mit Fachpersonal durchgeführt. Beim späteren wochenlangen Ausbau hat dann die ganze Community mitgeholfen. Viele Freunde, die nun auch teilweise in den Ateliers arbeiten, alles Kreativschaffende aus verschiedenen Richtungen. Es mussten allein 2000 Quadratmeter Wandfläche gestrichen werden – zwei Mal!“, sagt Mariona und bedankt sich bei denen, die mit ihr die Kunsthalle aufgebaut haben: Linus Rauch (Maler), Kris Douglas (Kurator und Künstler), Paula Casanovas (Keramikerin und Übersetzerin), Alizée Gazeau (Malerin und Forscherin), Manuel Stehli (Maler), Fabian Wohlfahrt (Web-Designer), Paula Cano (Keramikerin und Grafik-Designerin), Philip Hainke (Produktdesigner) und Nuna Hausmann (Trainerin).

Die Atelierseite von der Keramik-Künstlerin Paula Cano, die ihr bei Instagram unter ‚hausvonterra‘ findet. Foto: Privat/Freddy Schönfeld

Die vergangenen Monate hat Mariona fast täglich in ihrem Atelier verbracht hat, um ihre Ausstellung „Redemption, maybe“ vorzubereiten, die in der Galerie im Saalbau (Karl-Marx-Str. 141) zu sehen ist. Darin fokussiert sie sich auf das Thema (künstlerische) Arbeit, mit all den dazugehörigen Metaebenen. Sie begibt sich auf, wie sie sagt, Konfliktlösung-Suche, beispielsweise mittels Textilarbeiten, in denen sie aus mehreren getragenen Arbeitsoveralls ein Gesamtbild webt. Dies dient als Beweis für die individuelle Arbeit, die mehr oder weniger unsichtbar wird. Gründe dafür sind Uniformierung, aber auch, dass der Overall außerhalb vom Arbeitsplatz als trendiges Kleidungsstück getragen wird.

Der Blick von der Hochebene. Foto: Privat/Freddy Schönfeld

„Einer meiner Lieblingsmomente ist durchs Fenster zu beobachten, wie meine Kolleg:innen im Garten die Sonne genießen und sich währenddessen austauschen – es macht mich glücklich, zu sehen, dass wir diese Art von Community mit einem guten Schwung Diversität kreiert haben.“, sagt Mariona.

Zu der Community gehören auch die beiden Atelier-Katzen Topo und Santi sowie die Hündin Carmen, die aufpasst, dass ausschließlich die Künstler:innen das Gebäude betreten.

Carmen ist festes Atelier-Mitglied. Foto: Privat/Freddy Schönfeld

Der Künstler Mauro Fariñas

Mauro am Arbeiten in seiner Atelier Hochebene. Foto: Privat/Freddy Schönfeld

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Die Leute kommen und gehen, sehen sich mal mehr und mal weniger. Jede:r im eigenen Zeitfluss. Mauro Fariñas zum Beispiel ist hauptsächlich vormittags im Atelier und arbeitet an seinen Keramikprojekten, um dann am Abend seiner finanziellen Haupteinnahmequelle nachzugehen, nämlich dem Unterrichten an der „Tai Chi Chuan“-Kampfkunstschule. „Wenn die Tage länger wären, würde ich wahrscheinlich zusätzlich in mein Sozialleben investieren“, sagt er. Wie viel Zeit jede:r Künstler:in hier verbringt, ist ganz individuell und nach eigenem Gusto beziehungsweise gegebenen Kapazitäten strukturiert.

Keramik-Kunst von Mauro Fariñas. Foto: Privat/Freddy Schönfeld

Die Künstlerin Gloria Jurado

Gloria Jurado erklärt ihr Projekt der vergangenen Rundgang Ausstellung im Rahmen der Universität der Künste Foto: Privat/Freddy Schönfeld

Gloria Jurado, ist Architektin und befasst sich in ihrer Kunst mit Ökosozialer Transformation in Berlin: Das umfasst beispielsweise die Prozesse der Gentrifizierung, das Interesse an Gebäude-Abrissen, Immobilienspekulation und die Auswirkungen all dessen auf die Klimakrise. Diese vielschichtige Verwobenheit behandelt sie in ihrem Projekt „Berlin Umbau“, mit dem sie fotografisch die Veränderungen Berlins in unterschiedlichen Zeitabständen dokumentiert.

Kunst frisst Zeit

Auf die Frage, wie sie ihre Zeit aufteilt, sagt sie: „Ich widme mich zur Hälfte der Woche meiner Kunstarbeit, die andere Hälfte arbeite ich als Architektin. Zwar würde ich gerne mehr Zeit in meine Projekte investieren, aber ich brauche eine finanzielle Sicherheit, und Kunst ist keine sichere Nummer, um Stabilität zu erzielen“, sagt die gebürtige Spanierin.

Gloria hat für unseren Besuch ihr Regal mit den Arbeitsproben aufgeräumt. Foto: Privat/Freddy Schönfeld

Damit Kunst entstehen kann, bedarf es genügend Zeit, um den Kreativprozess anzukurbeln, und Geld als Ressource zur Ideenumsetzung. In der Realität ist das häufig schwer vereinbar, wenn nicht gerade ein Erbe auf dem Konto schlummert oder die Finanzierung von den eigenen Eltern ausgeht – sodass die meisten Künstler:innen der Kunsthalle Neukölln einer Haupttätigkeit nachgehen, die zur Finanzierung ihrer Kunst und den damit einbüßenden Doppelmieten beitragen. Von Übersetzerin zu Grafikdesignerin, zur Baustellenkraft. Eine Parallelwelt, die an Energiereserven zehrt, um doch eigentlich nur eines zu machen: freie Kunst. 

Blick ins Atelier. Foto: Privat/Freddy Schönfeld

Berliner Kunsträume werden verschluckt

In Berlin ist die Lage für die Kunst- und Kulturschaffenden prekär. Zuletzt die Ankündigung über die Schließung der B.L.O-Ateliere (Bahnhof Lichtenberg-Ost) im Juli 2024, die das Gelände seit mehr als 20 Jahren nutzen und nun von der Deutschen Bahn InfraGO erstmals keine Vertragsverlängerung bekommen, die Alte Münze in unmittelbarer Nähe vom Roten Rathaus, die zuletzt als großer Kulturstandort privatisiert wurde – freie Künstler:innen können sich nun hier etwas günstiger als „marktpreisübliche Preise“ einmieten, so das Berliner Immobilienmanagement. Aber kann freie Kunst grundsätzlich abhängig sein von privaten Unternehmen?

Foto: Privat/Freddy Schönfeld

Und generell ist da natürlich noch die Mietensteigerung der Stadt, die die Kunsträume quasi verschluckt. Das bunte und ursprünglich durch die Kunst gekennzeichnete Berlin schwindet offensichtlich und bewegt sich zu einem sterilen paradoxen Stadtbild, wo Kunst nur noch wenig Platz eingeräumt bekommt.

Zwar gibt es Zusammenschlüsse aus Verwaltung, der freien Szene, der gemeinwohlorientierter Immobilienwirtschaft und des gegründeten Kulturraum Berlin GmbH, sowie vom Senat geförderte Räumlichkeiten, aber die sind rar und bedingen einen professionellen Künstler:innen-Status auf freiberuflicher Ebene. Und so dreht sich das Hamsterrad immer weiter.

Das Künstleratelier von Stefan Knauf. Foto: Privat/Freddy Schönfeld

Mehr Trubel um die Kunstszene

Dass Räume wie die Kunsthalle Neukölln einen positiven Beitrag zur persönlichen Entfaltung leisten, das kollektive Miteinander fördern und stadtpolitische Impulse setzen, steht wohl außer Frage. Und der Spagat zwischen Zeit und Geld wird wahrscheinlich weiter schmerzhaft sein, nicht nur in der Kunstszene. Aber damit Berlin nicht zu einer tristen, privatisierten Geisterstadt wird, ist es wichtig, die Kunst- und Kulturschaffenden mehr zu unterstützen, um die Schmerzen etwas zu lindern.

Und Verträge wie den von der Kunsthalle Neukölln zu verlängern, damit kreatives Schaffen weiterhin möglich ist. Noch mehr Trubel um die Kunstszene, das braucht Berlin.

Eine Installation von Stefan Knauf. Foto: Privat/Freddy Schönfeld

Mehr zum Thema

Ihr wollt wissen, wer noch Teil der Kunsthalle-Community ist? Dann schaut euch den Beitrag zu den Keramik-Künstlerinnen, die Berlin bereichern an. Von George Grosz bis Norbert Bisky: Berliner Künstler:innen und ihre Ateliers nehmen wir hier in den Blick. Und falls ihr jetzt so richtig Lust habt, eure kreative Ader zu finden und auszuprobieren, dann sind vielleicht unsere Tipps für Kreativ-Workshops in Berlin etwas für euch. Was tut sich sonst in der Kunstwelt? Die besten aktuellen Ausstellungen empfehlen wir hier.

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