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Berliner Ikone

Café Achteck: Die verschnörkeltsten Toiletten der Stadt

Café Achteck? So könnte auch eine neue Boozy-Brunch-Bar im Kollwitzkiez heißen. Stattdessen steht der schöne Berliner Begriff für eine ganz bestimmte Toilettenkonstruktion. Die Geschichte der ikonischen Bedürfnisanstalt geht bis ins 19. Jahrhundert zurück.

Stylisch grün: das Café Achteck am Chamissoplatz. Foto: Imago/Schöning

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Café Achteck: Pinkeln wie die alten Preußen

Wer viel in den Berliner Parks, Kneipen, Biergärten und Cafés flaniert, muss häufig auf Toilette. Das wussten schon die Preußen. Und so wurde 1737 eine der ersten „Bedürfnisanstalten“ unter einem Portal am Stadtschloss errichtet. Die offizielle Bezeichnung versprach wohl etwas zu viel. Bei der Konstruktion handelte es sich um ein einfaches Urinal mit Abfluss in die Spree. Die Berliner Bevölkerung ließ sich auch damals schon nicht gerne in den Fluss pissen – und forderte den Bau von öffentlichen Toiletten. Jahrzehntelang passierte nichts.

Erst im nächsten Jahrhundert, während der Amtszeit des Polizeipräsidenten Karl Ludwig Hinkeldey, wurde es wieder dringend. Die Stadt hatte genug von den unhygienischen Bedingungen in ihrer Stadt. Die Diskussion um öffentliche Toiletten ging in die nächste Runde und sogar eine Dichtung zog in den Volksmund ein: „Ach lieber Vater Hinkeldey, mach uns für unsere Pinkelei doch bitte einen Winkel frei“, hieß es damals. Gepinkelt wurde halt immer.

Mein Klo, das hat acht Ecken. Foto: Berlin und seine Bauten, Verlag Wilhelm Ernst & Sohn 1896,
Wikimedia Commons, gemeinfrei

Hinkeldey ließ das Ganze nicht versickern und beauftragte Ernst Litfaß – ja, genau, den legendären Werbepionier – mit dem Bau von 180 Litfaßsäulen, von denen 30 spezielle Urinalversionen sein sollten. Wegen der fehlenden Wasserversorgung kam aber auch hier erstmal nichts ins Fließen. 1863 wurden am Askanischen Platz und an der Fischerbrücke die beiden ersten Berliner Bedürfnisanstalten errichtet. Erst in den 1870er-Jahren sollte es richtig losgehen. Und wieder war es ein Polizeipräsident, der sich um das lästige Thema kümmern musste. Die Toilettenhäuschen, die Guido von Madai aufstellen ließ, trugen umgangssprachlich sogar seinen Namen: Die sogenannten Madai-Tempel hatten schon acht Ecken und waren ein erster Schritt in eine sauberere Richtung.

Auch in Tegel gibt es ein Café Achteck. Foto: Imago/Jürgen Ritter

Wer baut das schönste Klo?

Bis 1876 entstanden in Berlin insgesamt 56 Einrichtungen. Alle waren mit einer kostenlosen Spülung aus der öffentlichen Wasserleitung ausgestattet. Von Anfang an gab es öffentliche „Konkurrenzen“, wie man die Wer-baut-das-schönste-Klo-Wettbewerbe damals nannte. Die Toilettenhäuser sollten kein notwendiges Übel sein, sondern die Stadt auch ästhetisch bereichern. Die Architekten dieser Zeit ließen sich von der Doppelanforderung zu Höchstleistungen beflügeln. Funktional und verschnörkelt, praktisch und ansehnlich fielen die Entwürfe aus. In einer stolzen Stadt wie Berlin war man plötzlich sogar auf seine Bedürfnisse stolz.

Die modernen Eisengießerei bot ganz neue Möglichkeiten. So ließen sich quasi unzerstörbare und trotzdem filigrane Bauteile herstellen. Künstlerische Toilettenhäuser entstanden in verschiedenen Teilen der Stadt. 1878 erarbeitete der Stadtbaurat Carl Theodor Rospatt einen Prototypen für sieben Stände auf achteckigem Grundriss. Die Wände bestanden aus verzierten gusseisernen Platten, das Dach wurde aus Glas angefertigt. Doch auch damals schon wurde gerne auf Toiletten randaliert, zwangsweise setzte man dann doch lieber aus Eisengitter für den oberen Teil der Anlagen. Die ersten ihrer Art wurden 1879 auf dem Weddingplatz und dem Arminiusplatz in Moabit aufgestellt.

Auch Wowi ist begeistert: In den frühen 2000ern wurden viele historische Toilettenhäuschen saniert. Foto: Imago/PEMAX

Der grüngestrichene Waidmannslust-Typ der Firma Rössemann & Kühnemann setzte sich durch. Und war bald nicht mehr von den öffentlichen Plätzen wegzudenken. Berlin freute sich und gab der Errungenschaft einen liebevollen Spitznamen: Das Café Achteck war geboren. Zur Gründung Groß-Berlins 1920 gab es bereits 142 Anlagen nach diesem Vorbild. Jedes davon mit anderen Ornamenten, Laternen und einem eigenem Charme.

Das Café Achteck war eine Männerdomäne

Im Café Achteck wurde rund um die gepinkelt. Allerdings nur im Stehen. Aus „Sicherheits- und Schicklichkeitsgründen“ waren sämtliche öffentlichen Anstalten nur für Männer geplant. Ein Versäumnis der Zuständigen – und eine Marktlücke: Schon bald errichteten private Unternehmen sogenannte „Vollanstalten“ auf eigene Kosten und betrieben diese gegen Gebühr. Diese konnten nun von Männern und Frauen auch für das große Geschäft genutzt werden. Die ersten Holzhäuschen mit jeweils sechs nach Geschlechtern getrennten Klosetts entstanden Ende des 19. Jahrhunderts auf dem Dönhoffplatz, dem Gendarmenmarkt und Ecke Friedrichstraße/ Unter den Linden. Eine soziale Auflage: In jeder Einrichtung sollte ein Sitz kostenlos angeboten werden. Im Laufe der Jahre entstanden dutzende Toilettentypen aus verschiedenen Materialen, mit verschiedenen Grundrissen, Stärken und Schwächen. Das Café Achteck blieb das ikonischste und es wurde auch in anderen Städten gebaut.

Mit großen Bauprojekten im 20. Jahrhundert endete das goldene Zeitalter der Gusseiseneinrichtungen im öffentlichen Raum. Architekten bezogen Toiletten nun direkt in ihre Planung mit ein. Alfred Grenander zum Beispiel gestaltete 1910 für seinen berühmten U-Bahnhof Wittenbergplatz gleich noch eine Bedürfnisanstalt im selben Stil dazu. Vielerorts verbannte man die Pinkelei lieber unter die Erde.

Eisentoiletten überleben Bomben

Doch so robuste gusseiserne Gebäude lassen sich nicht so schnell klein kriegen. So überlebte das ein oder andere Café Achteck sogar Weltkriegsbomben. Jahrzehntelang standen die Berliner Ikonen einfach so in der Stadt rum, ungenutzt, ungewollt, ohne Aufgabe. Erst nach der Wende begann das Landesdenkmalamt, einige der besonders schönen und gut erhaltenen Bedürfnisanstalten zu schützen.

Die Imbissbude Burgermeister befindet sich in einem ehemaligen Toilettenhäuschen. Foto: Imago/Jürgen Held

Auch der Berliner Citytoiletten-Mogul Hans Wall begann, sich für die typisch berlinerischen grünen Eisenbuden zu interessieren. 1995 ließ er ein Café Achteck am Chamissoplatz in Kreuzberg sachgemäß und aufwendig modernisieren. So wie die Fassaden der gleichaltrigen, umliegenden Altbauten bekam auch diese Kiezlegende einen neuen Anstrich. Seitdem wurden viele historische Pissoirs wieder hergerichtet und an heutige Hygieneansprüche angepasst. Einige von ihnen wurden zur Nutzung von Nicht-Stehpinkelnden umgebaut. Heute existieren noch mehr als 30 Café Achteck, auch wenn sich einige nicht mehr am ursprünglichen Standort befinden oder abgebaut und eingelagert wurden.

Am Schlesischen Tor in Kreuzberg und am Boxhagener Platz in Friedrichshain haben zwei zehnständige Pissoirs aus Gusseisen mehr als 100 Jahre überlebt. Während man sich am Boxi nur im Notfall zwischen das grüne Metall stellt, stehen Leute am Schlesi freiwillig an. Denn in dem historischen Klohaus brutzeln bei Burgermeister seit vielen Jahren die Burgerpatties.

Das Café Achteck ist Kult, und auch der lustige Name hat die Zeit überdauert. Ob in Moabit, Neukölln oder Prenzlauer Berg: Jetzt wird hier wieder gepinkelt wie vor 100 Jahren.


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